Einfach wunderbar in der Wunderbar
Am 5. Dezember 2003 gaben die Backdoors in Lüneburg ein Konzert. Es war einfach hinreißend und deshalb will ich davon berichten.
Um 21.30 Uhr sollte der Gig in der Wunderbar beginnen. Ich hatte mich mit meiner Freundin Edda, die extra aus Helgoland angereist war, gegen 21 Uhr in Lüneburg verabredet. Wir wollten zusammen meinen fünfzigsten Geburtstag nachfeiern. Mein Vater, der nur einen Tag später als ich seinen fünfundsiebzigsten Geburtstag gefeiert hatte, bot sich an, mich mit dem Auto nach Lüneburg zu fahren.
Als wir losfuhren, war es stockdunkel und es regnete leise vor sich hin. Typisches Hamburger Schmuddelwetter. Ich dachte daran, dass Jim Morrison am 8. Dezember seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert hätte. Jim Morrison und ich, wir waren beide Schützen der ersten Dekade. Der Schütze richtet seinen Pfeil gegen die Sonne. Er will die Welt erobern und seinen Horizont erweitern. Er ist gnadenlos ehrlich und kann sich brennend für eine Sache begeistern. Aus diesem Grunde fühle ich mich mit Jim Morrison verwandt.
Während wir auf die Autobahn fuhren, erzählte mir mein Vater, dass er als junger Mann auch einmal nach Lüneburg gefahren war, weil er sich dort eine unbekannte Jazzband ansehen wollte. Damals hat er für die Plattenfirma Metronom gearbeitet und war ständig auf Talentsuche. Mein Vater ist in seiner Jugend ein großer Jazz-Fan gewesen. Während des Krieges hörte er heimlich den verbotenen Sender. Er war später mit Chris Barber und Louis Armstrong befreundet. Als ich ein kleines Kind war, habe ich die Gegenwart der Musiker in unserem Haus immer sehr genossen. Die Liebe zur Musik steckt mir im Blut. Allerdings schwelt zwischen mir und meinem Vater immer noch der Generationskonflikt. Mein Vater hat es den Beatles niemals verziehen, dass sie den Jazz verdrängt haben. Mein Vater kann mit der Rockmusik nichts anfangen.
Während ich meinen Erinnerungen nachging, hatte mein Vater derweil im Radio den Klassik-Sender eingeschaltet. Wir sind inzwischen älter und toleranter geworden. Auf Mozart können wir uns beide einigen. Mozart ist ewig jung geblieben: Come on and rock me Amadeus!
Als auf den Autobahnschildern das Wort ?Lüneburg? auftauchte, wurden auch noch andere Kindheitserinnerungen wach. Als ich ein kleines Kind war, machte ich mit der Familie meiner Mutter immer Urlaub in der Heide. Meine Großmutter und ihre Schwester waren noch Wandervögel. Also mussten wir Kinder bei unseren langen Familienwanderungen durch die Heide immer singen: ?In der Lüneburger Heide, in dem wunderschönen Land, ging ich auf und ging ich nieder, allerlei des Wegs ich fand.? Diese Zeilen klingen mir bis heute im Ohr. Die Songs der Doors wären mir schon damals lieber gewesen. Aber meine Großmutter und ihre Schwester schwärmten damals immer noch von Hermann Löns, dem großen Heidedichter.
Ich erinnerte mich an den würzigen Geruch des weißen Sandbodens und den Tannenduft der Wälder. Ich sah die Rehe im Morgengrauen am Rande der Felder stehen und baute mit meiner Cousine Sandburgen am Ufer der kleinen Aue. Manchmal machten wir Ausflüge mit dem Fahrrad nach Lüneburg, um dort den sahnigen Joghurt, frisches Brot und Lakritze zu kaufen. Als ich mich auf dieser Fahrt an die frühen Kindertage erinnerte, fiel mir auf, wie scharf und geläutert die Sinne in der Kindheit noch sind.
Als wir in Lüneburg ankamen, war ich erstaunt, dass es dort immer noch das alte Kopfsteinpflaster und verwinkelte Fachwerkhäuser gab. Die Stadt hatte ihren alten Kern noch erhalten und einen Hauch von Romantik bewahrt. Die Wunderbar lag am Stintmarkt in einer dieser alten Gassen in der Nähe eines Kanals. Die Aura des alten Stadtkerns erinnerte mich ein wenig an das schöne Straßburg. Als ich mich von meinem Vater verabschiedete und aus dem Auto stieg, kam mir meine Freundin Edda schon entgegen. Sie suchte noch einen guten Parkplatz, weil ihr Wagen im Halteverbot stand.
Wir fanden noch einen Parkplatz an der Hauptstraße und dann gingen wir zusammen in die Wunderbar. Auf der Straße stand eine Tafel, die in Kreideschrift die Backdoors ankündigte. In der unteren Etage waren schon viele Leute um die Bar herum versammelt. Der große Tresen wirkte edel und robust. Es wurden bunte, exotische Drinks für den Alkoholfreund und für Abstinenzler angeboten. An den Tischen saßen Studenten aus einer schlagenden Verbindung. Edda ergatterte noch einen freien Stuhl. Sie zeigte grinsend auf eine Steckdose an der Wand und freute sich, weil sie ihr Handy noch einmal kurz aufladen wollte. Als ich die Treppen hinaufstieg, entdeckte ich die Backdoors, die sich gut gelaunt um einen Tisch versammelt hatten. Ich wurde freundlich begrüßt und der Sänger erzählte mir, dass die Gruppe mit ihrem Auftritt noch ein wenig warten sollte, bis der Laden sich gefüllt hatte. Zur Türe strömten immer noch Menschen mit neugierigen Blicken herein. Als ich mich an den Tisch der Backdoors setzte, fiel mir wieder auf, wie warmherzig die Truppe war. Sie sorgten für gute Laune und die Good Vibrations durchfluteten den ganzen Raum.
Als die Gruppe loslegte, war sofort Stimmung im Laden. Der Sänger legte sich mit ?The Changeling? total ins Zeug. ?See me change!? Die Wandlung wurde mit schlangenhaften Bewegungen angedeutet. ?Er lebte oben in der Stadt und er lebte unten in der Stadt. Er war überall. Er hatte Geld und er hatte nichts. Aber er war niemals so zerbrochen, dass er die Stadt nicht verlassen konnte. Ich wandle mich. Ich bin die Luft, die du atmest. Ich bin überall.? Die Gitarre vollzog in Verzierungen den Wandel unter stampfenden Rhythmen und dynamischen Orgelklängen. Die Hereinkommenden versammelten sich staunenden Blickes vor der Bühne. Staunen über den satten Sound der Band und die kräftige Stimme des Sängers, der alles aus sich herausholte.
Langsam bewegten sich die Hüften der Mädchen zu ?Love Her Madly?. ?Er liebte sie auch noch, als sie zur Tür hinausging.? Das fröhliche Liebeslied, das alle Höhen und Tiefen der Liebe beschreibt, ließ das Publikum langsam locker werden. ?Er wollte ihr Daddy sein. Er liebte sie wie verrückt. Aber all die Liebe ist gegangen. Sing dein einsames Lied!?
Als die Band ?Take It As It Comes? spielte, kam Bewegung in das Publikum. Es strömten immer mehr Leute zur Tür herein und quetschten sich nach oben zur Bühne. Der Kellner hatte langsam Schwierigkeiten, mit seinem Tablett durchzukommen. Jetzt bewegten sich auch die Hüften der Männer zu diesem eingängigen Lied, das Jim Morrison für einen Yogi geschrieben hatte. ?Nimm es, wie es kommt. Zeit zu wandern. Zeit zu rennen. Zeit, den Pfeil gegen die Sonne zu richten. Nimm es leicht, Baby. Nimm es, wie es kommt. Du bist viel zu schnell.? Die Leichtigkeit des Seins war in diesem Song zu spüren. Die Leichtigkeit des Seins verwandelte sich in gemeinsame Freude. Das Schlagzeug pirschte sich wie ein Tiger an die Kernaussage des Textes: ?Zeit zu leben. Zeit zu lügen. Zeit zu lachen. Zeit zu sterben. Nimm es, wie es kommt.? Der Sänger sprang auf und ab und die Leute klatschen im Rhythmus in die Hände. Alles war entspannt und so leicht an diesem Abend.
Meine Freundin stand hinter mir und stieß mich an, als die Gruppe ?Ship Of Fools? sang. Sie strahlte über das ganze Gesicht und sagte: ?Die Band ist einfach toll. Du hast mir nicht zu viel versprochen. Jetzt merke ich, dass ich viele Songs der Doors noch gar nicht kenne.? Ich freute mich, dass die Backdoors meiner Freundin das Narrenschiff nahe brachten. Die Laune im Publikum wurde immer besser. Das Schiff voller Narren hatte abgelegt und segelte gegen den Wind. Mister Goodtrips kam vorbei, um sich nach einem neuen Schiff umzusehen. Ich trank mein kleines Bier auf das Wohl der Band und fühlte mich langsam abgehoben. Draußen war es dunkel und kalt und regnerisch, aber hier drinnen fühlte ich mich wie im Paradies. Die Musik war Balsam für die Seele. Hier durften wir uns dem närrischen Blues hingeben und der Sänger war dabei, die Sorgen der Leute aus dem Gehirn zu pusten.
Ich war beinahe enttäuscht, als die Gruppe ihre Pause einlegte. Sie versammelten sich wieder um den Tisch und ich war wirklich erstaunt, wie liebevoll die einzelnen Bandmitglieder miteinander umgingen. Es war zu spüren, dass sie wirklich gute Freunde waren. Der Sänger umarmte den Keyboarder, weil er ein tolles Solo hingelegt hatte. Die Bassistin strahlte über das ganze Gesicht. Die gute Laune der Band war einfach ansteckend. Der Sänger und der Gitarrist tranken noch ein Bier und dann wurden sie auch schon wieder auf die Bühne gescheucht.
Die Band spielte wieder einen erdigen Blues und um unseren Tisch herum wurde es immer enger, weil die Zuhörer von der Band total gefesselt waren. Der Kellner kam kaum noch durch, um die Bestellungen aufzunehmen. Die Mädchen tanzten in totaler Verzückung und auch ältere Damen schwangen die Hüften. Auf einmal hörte ich den Sänger meinen Namen rufen. Er verkündete vor versammelter Mannschaft meinen Geburtstag. Ich sollte auf die Bühne kommen. Das Herz rutschte mir vor Aufregung in die Hose. Die eigenen Bewegungen schienen wie eingefroren und in Zeitlupe abzulaufen. Ich bin sehr schüchtern und tauge nicht für das Bad in der Menge. Diese Erfahrung hatte ich schon gemacht, als ich meine erste Ausstellung mit Bildern und Gedichten in Düsseldorf machte. Damals bin ich fast gestorben, als die Menschen sich um mich versammelt hatten. Als ich zur Bühne kam, überreichte mir der Sänger die erste CD der Backdoors. Auf dem Cover war mein Name zu lesen und im Innenteil fand ich eine persönliche Widmung. Diese CD war ein ganz persönliches Geschenk an mich. Ich freute mich wie eine Schneekönigin, nahm den Sänger in die Arme und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
Im nächsten Moment spielten die Backdoors den Song ?End Of The Night?, den sie nur für mich einstudiert hatten. Als der Sänger diesen neuen Song im Repertoire ankündigte, sprach er noch einmal davon, wie genial der Songtexter Jim Morrison war. Ich fühlte mich sehr geehrt und ein leichter Schauer lief mir über den Rücken, als ich den Song hörte. Er war so nachtfederleicht und verträumt psychedelisch. In mir kam der Wunsch auf, mich nach diesen Traumnoten leicht zu bewegen. Ich suchte noch einen freien Platz vor der Bühne und meine Arme ahmten die Bewegungen einer indischen Tänzerin nach. Inzwischen ging ein Mann mit einem Zylinder durch die Bar und sammelte Geld für die Band. Er war bis zum Rand mit kleinen Scheinen gefüllt. Der Kellner konnte sich nur noch mit Ellenbogenkraft einen Weg durch die Zuschauer bahnen, die sich immer enger um die Gruppe scharen wollten. Als er sich an mir vorbeiquetschte, hörte ich ihn sagen: ?Du kannst aber schön tanzen!? Ich nahm das Kompliment freudig entgegen, obwohl ich nicht wusste, ob er es ernst gemeint hatte. So reisten wir gut gelaunt dem Ende der Nacht entgegen. Am liebsten hätte ich getanzt, bis die Morgendämmerung anbricht. Bis zum Ende der Nacht!
Die Stimmung erreichte ihren absoluten Höhepunkt, als die Gruppe den ?Roadhouse Blues? spielte. Der Augenblick war so schön. ?Lass es rollen, Baby, lass es rollen. Die ganze Nacht. Den Augenblick genießen, denn die Zukunft ist unsicher und das Ende ist stets nah.? Ein Herr im karierten Hemd eroberte den freien Platz neben dem Sänger und tanzte alle überschüssigen Kräfte aus sich heraus. Inzwischen hatte sich der Raum vor der Bühne in eine Tanzfläche verwandelt und der Applaus für die Band wurde nach jedem Stück lauter.
Ich tanzte immer weiter und war einfach nur glücklich. Während dieser schöne Abend sich langsam dem Ende zuneigte, bemerkte ich plötzlich eine übersinnliche Wandlung. Es schien mir, als wäre der Geist des Schamanen Jim Morrison in die Haut des Sängers geschlüpft. Als die Gruppe ?When The Music`s Over? spielte, unterlag ich der Vision, die Doors zu erleben. Ich liebe dieses Stück mit den Klängen des Synthesizers, der so viele Ornamente und psychedelische Verzierungen findet, bis man glaubt, einfach abzuheben. Persische Nacht, Baby! Sieh nur das Licht!
Der sanfte Regenklang des Songs ?Riders On The Storm? verschmolz mit dem Regen in der Nacht dort draußen und brachte uns langsam in die Realität zurück. Niemand wollte, dass dieser Abend zu Ende geht. Das Publikum applaudierte begeistert, verlangte lautstark eine Zugabe und wurde noch einmal mit ?Light My Fire? belohnt. Als der Sänger von der Bühne ging, sagte ich: ?Es war mir, als hätte ich eben Jim Morrison auf der Bühne gesehen.? Er nickte und sagte lächelnd: ?Ich habe seine Anwesenheit auch gespürt.?
Am Ende war die Gruppe ziemlich erschöpft. Sie hatten mal wieder ihr Bestes gegeben, wie immer. Die Bassistin hielt mit einem strahlenden Lächeln eine langstielige Rose in der Hand. Meine Freundin Edda versuchte die Gruppe dazu zu überreden, doch einmal nach Helgoland zu kommen. Dort gab es jedes Jahr ein Open-Air-Festival. Schweren Herzens verabschiedeten wir uns von den Mitgliedern der Band und dann stiegen wir in den Wagen und reisten mal wieder dem Ende der Nacht entgegen. Wir fuhren im leisen Nieselregen über die Autobahn und hörten zur Abwechslung die Musik von Led Zeppelin. Edda schwärmte von den Backdoors und wollte alles über die einzelnen Mitglieder wissen. Niemals hätte sie geglaubt, dass eine Cover-Band so gut sein konnte. Wir schwärmten noch lange von diesem Abend und als wir schon beinahe im Morgenrauen die Stadt erreichten, tranken wir in meiner kleinen Dachstube noch ein Glas Wein. Edda hatte mir noch Geschenke mitgebracht und voller Freude packte ich sie aus. Diese Geschenke erinnerten mich daran, dass ich den Zenit meines Lebens schon lange überschritten hatte. Aber die Musik bleibt immer ein Freund, bis zum Ende. Edda strahlte mich an und wir sagten wieder einmal: ?Ach wie schön, dass wir diesen Abend auch noch erleben durften.? Das sagen wir immer nach guten Konzerten.