Jim Morrisons Birthday
Wir sind mit dem Zug nach Berlin gefahren, um den Geburtstag von Jim Morrison zu feiern. Am Fenster flogen die Kleingärten vorbei. Flachland im Frost. Am späten Nachmittag ging die Sonne schon unter. Roter Feuerball über den Feldern. Als wir in Berlin ankamen, holte uns Joe vom Bahnhof ab. Er hatte die Mappe mit den Gedichten von Jim Morrison unter dem Arm. Er lotste uns in die Straßenbahn und führte uns in dunkle U-Bahnschächte, um uns an den Weißensee zu führen. Im Hof 23 wurde gleich geprobt. Die Roadies waren schon bei der Arbeit. Der Autor Rainer Moddemann kam herein und erzählte, dass seine Brille auf der Reise zerbrochen war. Zum Glück hatte er seine Sonnenbrille dabei gehabt, und so konnte er noch zum Optiker gehen und wieder sehen. Jemand reichte ihm eine Gitarre und er spielte den Blues, als hätte er niemals etwas anderes getan. Joe ging mit ihm hinter die Bühne, um die Texte zu proben. Der Sänger der Bootleg-Doors kam mit seinem ganzen Gefolge. Er war von dieser leichten Jim Morrison-Aura umgeben und reichte allen strahlend die Hände. Der Besitzer der Seelenküche kam herein, begrüßte mich herzlich und lachte, weil sein Kompagnon vergessen hatte, genug Toastbrot zu bestellen. Die Roadies machten den Soundcheck und der Beleuchter war in Aktion.Als die Textprobe gelungen war, fuhren wir in die Seelenküche. Sie liegt mitten in der Pampa und bietet dem Auge eine einzige Idylle. Eine kleine Holzhütte mit Lichterketten stand da einsam in der Landschaft. Ein kleines Stück Amerika mitten in Berlin. Als wir die kleinen Räume betraten, war sofort die Seele in dieser Küche zu spüren. Ich bestellte das Lieblingsgericht von Jim Morrison, das mir empfohlen wurde: Gebratene Leber mit Zwiebelringen auf Toast serviert. Mein Sohn aß einen mexikanischen Bohnenteller. Dazu gab es zu Ehren von Jimbo ein Bier. Jim Lizardking kam auf mich zu und begrüßte mich. Ich freute mich sehr, ihn zu sehen, weil ich ihn ja nur aus dem Netz kannte. So zart hatte ich ihn mir nicht vorgestellt. Es wurde so gemütlich, dass wir die Räume gar nicht mehr verlassen wollten.
Wir fuhren im Auto wieder zurück in das Herz von Berlin. Am Hof 23 sollte die Party jetzt starten. Die Vorgruppe spielte ein Lied von den Beatles mit einem Hauch Punk, sang von schwarzen Engeln und wurde beinahe ausgepfiffen, weil das Publikum nur noch die Doors feiern wollte. Sie hatten wenig Geduld. Zwischendurch wurden Videoclips und seltene Fotos von Jim Morrison auf eine kleine Leinwand projiziert. Die Minuten bis zum Geburtstag wurden abgezählt und dann startete ein kleines Feuerwerk. Punkt Mitternacht begann die Dichterlesung. Die Dichter lasen im Wechsel und spielten auf der Gitarre den Blues. Danach legten die Bootleg-Doors endgültig los. Es begann mit "Light My Fire" und das Publikum erhob sich vom Fußboden und es wurde getanzt. Um mich herum gab es nur strahlende Gesichter. Der Sänger schien in diesem Moment Jim Morrison zu sein. Seine Stimme und jede Bewegung stimmte mit dem Original überein. Jim Morrison lebte wieder. Mir kam der Gedanke, dass Jim Morrison wohl der lebendigste Rockstar unter den Toten war. Einfach unsterblich.Die Bootleg-Doors durchschritten mit unglaublicher Leichtigkeit das ganze Repertoire. Ich sah Carola, die in völliger Entrückung in ihrer Lederhose durch den ganzen Saal tanzte. Bei dem Song "Wild Child" packte es mich einfach und ich tanzte wie eine alte Schamanin um den guten Joe herum. Mein Sohn starrte wie gebannt auf die Bühne und sein Kopf ruckte wie bei einem Reiher vor und zurück. Ein entfesselt Begeisterter stürmte die Bühne und hielt ein Stofftuch mit Jims Konterfei in die Höhe und schwenkte es wie eine Fahne. Kleine Japaner segelten plötzlich durch die Lüfte. Das Publikum tanzte immer wilder und sang kräftig mit. Am Ende eroberten junge Mädchen mit langen Haaren die Bühne und tanzten im Kreis um den Sänger Rick herum. Am Ende des Konzerts rief der Sänger Jürgen Schuschke immer wieder auf die Bühne, aber es dauerte eine Ewigkeit, bis er die Bühne erreichte, weil er gerade mal in einem stillen Kämmerlein einen Kaffee getrunken hatte. Jürgen wurde gefeiert und ganz am Ende sang die Gruppe noch einmal "The End". Alle waren traurig, als das Konzert zu Ende war.
Danach ging es wieder in die Seelenküche. Rainer Moddemann und Jürgen Schuschke erzählten uns im Auto die witzigsten Anekdoten. In der Seelenküche wurde es immer gemütlicher. Draußen war es inzwischen so kalt wie in Sibirien. Wir tranken noch ein Bier und einen Kaffee. Carola wollte sich bei Jürgen Schuschke immer wieder bedanken. Sie erzählte ihm dreimal in aller Ausführlichkeit, dass sie sich an diesem Abend wieder ganz jung gefühlt hätte, beinahe wie dreizehn. Jürgen erzählte uns von seiner spirituellen Liebe zu Jim Morrison. Seine Frau umarmte mich liebevoll und kochte uns noch einen Kaffee. Als wir die Seelenküche verließen, waren die Straßen da draußen wieder grau. Im Bahnhofs-Restaurant erzählte uns Joe noch einmal, dass Jim Morrison den großen Geist wirklich begriffen hätte. Da ist etwas über uns, das uns alle verbindet: "Thank you, oh Lord, for the white blind light!"