Der Winter wollte in diesem seltsamen Jahr 2006 kein Ende nehmen. Es hatte sogar noch im April geschneit und ein jüdischer Mystiker hatte für dieses Jahr einen großen Atomkrieg prophezeit. Das war gar nicht so abwegig, denn der Iran und die Großmacht Amerika spielen mit den schlimmsten Gedanken. Aber in meinem Alter hat man sich beinahe schon daran gewöhnt, auf einem Pulverfass zu leben. Das heißt aber nicht, dass man nicht mehr gegen den Strom schwimmt und sich nicht mehr auflehnt. Wenn ich resignierte, dann wäre ich kein Fan von Jim Morrison. Er hat auch immer an die Macht der Musik und die Magie der Worte geglaubt. Das Konzert der Backdoors sollte diesmal am 12. Mai stattfinden. An diesem Tag hatte es ein wenig geregnet, nachdem der Frühling mit Glanz und Gloria und Sonnenschein endlich eingezogen war. Es gab einige Leute, die hatten wirklich befürchtet, dass es keinen Frühling in diesem Jahr geben werde. Gott hatte im Abendsonnenschein über St. Pauli einen wunderschönen Regenbogen in den Himmel gezeichnet. Jedenfalls hatte mir das mein alter Freund Deva am Telefon erzählt, als er gerade aus dem Fenster blickte. Ich hatte zuvor meine schwarze Lederhose und mein türkisfarbenes Doors-T-Shirt angezogen. Mein Sohn machte noch ein kleines Nickerchen auf dem Sofa, während ich voller Vorfreude mit Deva am Telefon über das bevorstehende Konzert plauderte. Deva war an diesem Abend mit zwei Freundinnen verabredet, und während er mir davon erzählte, hörte ich immer wieder seine staunenden Rufe am Telefon, weil der Regenbogen so schön war. Es ist schon seltsam, aber immer wenn ich ein Konzert der Backdoors besuche, dann gibt es ein Himmelszeichen. In allen Religionen und Kulturen will der Regenbogen das Glück verheißen und mein eigener Rufname ist eng mit diesem Symbol verbunden. Also nahm ich das Himmelsschauspiel als gutes Omen.
Nachdem ich den Hörer auf die Gabel gelegt hatte, weckte ich meinen Sohn, denn er wollte mich an diesem Abend unbedingt begleiten. Er hatte mit mir vor drei Jahren das erste Konzert mit der Gruppe erlebt. Die Backdoors hatten ihn damals total begeistert. Es war die Zeit, als ich zusammen mit Annemarie Ruf einen Roman begonnen hatte, der den Song »End Of The Night « umkreiste. Die Stimmung dieses Liedes hatte sich damals in mein Gemüt gebrannt. Inzwischen sind drei Jahre vergangen und der Roman wird in wenigen Wochen beendet sein. Der Kreis will sich schließen und das Ende der Nacht bricht an.
Auf dem Weg zur S-Bahn begegneten wir zwei jungen Männern mit langen Haaren. Als sie mein neonfarbenes T-Shirt erblickten, begann der eine von ihnen zu singen: »When the music´s over turn out the light!« Sofort zog die helle Freude in meinem Herzen ein, weil allein das Konterfei von Jim Morrison wildfremde Menschen auf der Straße zum Singen anregt. Ich sang diese Zeile auch noch einmal und winkte dem jungen Mann zum Abschied. Auf dem Weg ins Logo wirkte alles sehr friedlich und feierlich. Die Bäume waren endlich grün und schräg gegenüber dem Dammtorbahnhof leuchten hell die Lichterketten um ein Zirkuszelt. Auf einmal fiel meinem Sohn ein, dass er kein Geld in der Tasche hatte, und so mussten wir noch einen kleinen Umweg zum Bankautomaten machen. In diesem Moment war mir klar, dass wir den ersten Song der Backdoors wohl verpassen würden. Aber wenn das Leben im Fluss ist, dann lässt man sich führen und vertraut darauf, dass alles im Einklang ist. Innerlich steigerte sich durch diese Verzögerung meine Vorfreude auf das Konzert und die Begegnung mit Jim Lizardking und Jan-Erik Hubele, dem Autor des Buches »Zwischen Himmel und Hölle. Jim Morrison in Paris« Jan-Erik Hubele lebt in Kaiserslautern und besuchte wieder einmal unsere Hafenstadt. Natürlich wollte er bei dieser Gelegenheit die Backdoors auch einmal live erleben.
Von weitem sah ich dann schon, wie eine kleine Menschentraube im Logo verschwand. Das Konzert hatte wohl gerade begonnen. Als wir den dunklen Höhlenbauch des Logo betraten, fühlte ich mich in der vertrauten Umgebung gleich geborgen. Hinter dem Empfangstresen stand wieder dieser schöne junge Mann, den ich vor drei Jahren auch hier erblickt hatte. Der Kreis will sich schließen, dachte ich wieder. Es war noch viel Platz um die Bühne im Auftrittssaal und das empfand ich als sehr angenehm, denn so konnte man sich freier bewegen. Jim Lizardking und Jan-Erik Hubele standen gleich vorne an einem der Tische und wir nahmen uns gleich zur Begrüßung in die Arme. Mein Sohn strahlte, als er die beiden erblickte und ich merkte sofort, dass Jan-Erik Hubele ihm auf Anhieb sympathisch war. Aber nach wenigen Minuten zog der Sänger der Backdoors wieder alle Blicke an sich. Der Laden war zwar nur zu Hälfte gefüllt, aber die Atmosphäre war herrlich. Im Publikum waren ganz junge Leute, die sich nach kurzer Zeit von dem Sänger nach vorne locken ließen. Man merkte, dass die Musik in kürzester Zeit wirklich ihr Herz berührte. Ich sah auch eine ältere Lady, die wohl ungefähr in meinem Alter war. Sie tanzte wie ein junger Derwisch im Hintergrund. Bald war mir klar, dass die Backdoors ihr Repertoire an diesem Abend vollkommen geändert hatten. Zur Begrüßung erzählte uns der Sänger, dass jemand das Wort »Arschlöcher « auf ein Plakat geschrieben hatte. Er musste dabei herzlich lachen und meinte, das wäre schon ganz richtig, denn der Name Backdoors bedeutet im amerikanischen Slang tatsächlich Arschlöcher. Er lachte noch einmal und winkte fröhlich: »Die Arschlöcher begrüßen euch! « Jim Lizardking hielt sich vor Lachen den Bauch und Jan-Erik warf grinsend den Kopf nach hinten. Mein Sohn strahlte bald wieder über das ganze Gesicht, als die Backdoors ihr Medley anstimmten. Die Orgel hörte sich diesmal sehr gläsern an, als wären die Töne dem Zeitalter des Barock entsprungen. Das Schlagzeug war noch dynamischer geworden. Die Stimme des Sängers hatte diesmal einen magischen Hall im Refrain. Als die Gruppe den berühmten Song von Kurt Weill anstimmte, legten sich die jungen Leute die Arme auf die Schultern und tanzten im Reigen, so wie ich es in meiner Jugendzeit so oft erlebt hatte. Die Friedenstaube flatterte wieder unsichtbar über unseren Köpfen. Die Gitarre ließ mich diesmal an einem gewissen Punkt ins Zeitlose abheben. Es ist ein Gefühl, dass man kaum beschreiben kann. Man lässt sich einfach von der Musik tragen und alle Gedanken sind ausgeblendet. Die Zeit ist aufgehoben und es ist, als würde man durch das Universum schweben. Wenn wir mit dem Zeitlosen verbunden sind, dann kommen wir Gott näher. Ich hörte die Stimme des Sängers: »Get together roll roll roll « und diese Worte waren wie ein göttliches Mantra. Am Rande der Bühne saß ein junges Menschenkind im Lotussitz, und es schien mir, als wäre es mit dieser Musik auch in Meditation versunken.
Bei dem Song »Love Me Two Times « juckte es wieder in den Beinen und es war so herrlich vor der Bühne zu tanzen. Immer wieder kamen Leute ganz nah an die Bühne, um ein Foto zu machen. Der Song »Light My Fire « ließ diesmal wieder alle abheben. Die Gitarre erinnerte mich an diesem Abend oft ganz entfernt an den Gypsy-Swing von Django Reinhardt. Als ich dem Gitarristen nach dem Konzert von diesem Eindruck berichtete, bestätigte er mir, dass ich mit dieser Assoziation gar nicht so falsch lag, denn er selbst und seine Vorfahren waren wohl mit dieser schönen Zigeunermusik verwachsen. Die Songs »Soul Kitchen « und »The End « erinnerten uns bald wieder daran, dass die Zeit mit jedem Takt voranschreitet. Der schöne Abend neigte sich wieder einmal dem Ende entgegen. Wir alle sind unterwegs auf diesem Highway. Die Backdoors fahren mit uns im blauen Bus. Wir tanzen und sind wie verrückt. Warten auf den Sommerregen! Die Musik vereint uns von Zeit zu Zeit. Ich genieße die Harmonie von Augenblick zu Augenblick.
Der Beifall in der kleinen aber feinen Gemeinde wollte kein Ende nehmen, als das Konzert vorbei war. Es war so schön, gemeinsam zum Mond zu schwimmen. Die Slide-Gitarre will dich immer weiter tragen. Der » Roadhouse Blues « brachte am Ende noch einmal richtig Stimmung in den Laden. Der dadaistische Gesang, diese herrlichen Lautmalereien am Ende des Songs hatten mir besonders gut gefallen. Und nun sollte Schluss sein? Let it roll, Baby, all night long! Nach der Zugabe war der Sänger total durchgeschwitzt, denn er war mit einer Erkältung auf die Bühne gegangen, was aber keiner im Publikum bemerkt hatte.
Als das Licht angegangen war, unterhielten wir uns noch eine ganze Weile. Jan- Erik Hubele hatte das Konzert sehr gut gefallen. Er war ganz begeistert von der Performance, weil der Sänger es wie kein anderer versteht, das Publikum in die Show zu integrieren. Jan-Erik Hubele ist (genauso wie Jim Lizardking) ein großer Doors-Spezialist und ein Kenner der Tribute-Bands. Sein Urteil ist immer sehr fundiert und sehr ehrlich. Jim Lizardking freute sich mit mir, weil es für uns alle ein so schöner Abend geworden war. Allerdings war er ein wenig enttäuscht, weil die Gruppe den Song »When The Music´s Over « diesmal nicht gebracht hatte. Kurz bevor wir gehen wollten, nahm mich der Sänger noch einmal strahlend und glücklich in seine Arme. Er fragte mich, ob ich traurig wäre, weil die Gruppe mein Lied »End Of The Night« nicht gespielt hatte. Ich antwortete ihm, dass ich darüber hinwegkommen würde. Aber für diesen Verlust wurde ich dann reichlich entschädigt, als er mir die neueste CD der Backdoors schenkte. Ich habe sie mir inzwischen angehört. Sie ist wirklich in einer sehr guten Qualität aufgenommen und vermittelt einen Eindruck von der Lebendigkeit und Kreativität der Gruppe. Ich habe mich über diesen Schatz sehr gefreut. Das erste Stück auf der CD ist eine wunderbare, sehr schöne und psychedelische Aufnahme von »End Of The Night«. So werden mir die schönen Abende mit den Backdoors und die Arbeit an meinem Roman in unvergesslicher Erinnerung bleiben.
Auf dem Heimweg war mein Sohn in total gehobener Stimmung. Er war der Meinung, dass sich die Backdoors in den letzten drei Jahren total weiter entwickelt hätten, obwohl sie damals doch schon so gut waren. Er schwärmte von den guten Vibes in unserer kleinen Doors-Family. Er freute sich mit mir, weil Jan-Erik Hubele mir eine selbst verfasste Kurzgeschichte schreiben wollte, obwohl ich doch nur um ein Gedicht gebeten hatte. Ich verriet ihm an diesem Abend, dass Jan-Erik ein ganz großer Poet ist.
Nun liegt dieser Abend schon wieder eine Woche zurück. Ich sitze hier an meinem Computer und möchte meinen kleinen Bericht mit einem mystischen Zitat beenden. Am Anfang dieses Jahres schrieb ich einen Brief an Eugen Drewermann. Er ist wohl der bedeutendste Theologe unseres Jahrhunderts. Er war ein katholischer Priester, dem man das Lehramt entzogen hat; und vor kurzem ist er aus der katholischen Kirche ausgetreten und hat sich die Freiheit geschenkt. Er ist auch ein bedeutender Psychoanalytiker und er hat unzählige Bücher geschrieben und viele Vorträge gehalten. Manchmal ist er auch im Fernsehen zu sehen. Ich verehre ihn sehr. Man nennt ihn auch Jesus von Paderborn, weil er kaum etwas besitzt und seine Einnahmen den Armen spendet. Für mich ist er einer der bedeutendsten Menschen auf diesem Planeten, ein wahrhaft Erleuchteter wie der Dalai Lama. Man kann sich vorstellen, wie erfreut ich war, als Eugen Drewermann auf meinen Brief ganz persönlich und sehr liebevoll geantwortet hat. Dieser Brief ist für mich das Wertvollste, was ich jemals besessen habe. Er schenkte mir auch zwei Bücher. Eines der Bücher heißt »Leise von Gott reden. Meditationen. « Um den Kreis zu schließen, möchte ich noch einmal daran erinnern, dass Jim Morrison einige Zeilen von William Blake entlieh, als er den Song »End Of The Night « geschrieben hat. Der Name »The Doors « entstammt auch einem Gedicht von William Blake. William Blake war ein christlicher Mystiker. Und nun fand ich in dem Buch von Eugen Drewermann folgende Zeilen: » Es scheint schon zur Zeit des ausgehenden 1. Jahrhunderts nach Christus, zur Zeit der Kirche des Johannes, die Frage zu sein, wie man denn mit Berufung auf Jesus Menschen führen könne. In alle Zukunft wird Jesus der Maßstab für das sein, was wir miteinander machen, auch für das, was wir in der Kirche mit uns machen lassen. Ein Hirtenstab lässt sich so oder so benutzen, nach dem Modell der alten Pharaonen und der gottgleichen Machthaber oder in der Weise des Hirtenstabs Jesu. Es bleibt bis in die letzten Worte Jesu hinein die entscheidende Alternative gegenüber seinen Jüngern: »Ihr wisst, dass die scheinbar Mächtigen sich Wohltäter nennen, aber sie Willküren herunter auf ihre Untertanen. Bei euch soll das nicht so sein, sondern wer unter euch groß sein will, der sei aller Letzter und aller Diener.« Darum kann Jesus hier sagen: »Ich bin die Tür.«