Mit dem Namen »Seelenküche« steht eine ganz besondere Geschichte in Verbindung. Da war jener schicksalsträchtige Augenblick am Strand von Venice Beach, im Juli des Jahres 1965, als Ray Manzarek und Jim Morrison sich erneut begegneten. Dieser Moment, der das Himmelreich in sich trug, einen ganz besonderen Zauber enthielt und vielleicht Vorsehung war, sollte zukünftig das Leben von vier jungen Männern verändern.
Ray und Jim hatten sich an der Filmakademie der UCCLA, der University of California in Los Angeles kennen gelernt. Jim Morrison hatte sein Filmstudium gerade beendet und sein Abschlussfilm war nicht besonders gut ausgefallen. Eigentlich wollte er nach New York gehen, aber er war in dem Hippie-Nest Venice Beach einfach hängen geblieben. Er lebte auf dem Dach eines Warenhauses am Strand von Venice und ließ sich einfach treiben. Er schlief auf einer Matratze und blickte auf ein kleines Vordach, davor wiegten sich die schlanken Palmen wie Fächertänzer im Wind. Dahinter der helle Strand mit der weißen Schaumkrone der Wellen und die unendliche Weite des hellblauen Meeres, das sich im Hellblau des Himmels verlor. Jim Morrison muss sich in einem meditativen Zustand der Gelöstheit befunden haben. In der Stille der Sternennächte, im Wehen des Windes und im Rauschen des Meeres offenbarte sich ihm eine Musik, die nur er hören konnte. Er hörte die Worte und die Melodie und ein ganzes Orchester. In seinem Kopf hatte sich alles zur Perfektion vollendet und er war wie ein zärtlich Berauschter, der den Glanz der Schöpfung wie ein ungeborenes Kind in sich trug.
Ray Manzarek und Jim Morrison hatten sich während ihres Filmstudiums angefreundet. Es muss ein sonniger und leichter Tag gewesen sein, als Ray Manzarek am Strand saß und meditierte. Er blinzelte in die untergehende Sonne und sah, wie Jim Morrison ihm entgegenkam. Seine Silhouette wurde vom Sonnenlicht eingerahmt. Lange, braune Locken fielen auf seine Schultern. Ray war ganz überrascht, wie schön sein Freund geworden war. Er war ganz erstaunt, Jim Morrison am Strand von Venice zu sehen, denn er hatte geglaubt, er sei nach New York gegangen. Jim hockte sich zu Ray auf den Boden und sie sprachen darüber, wie schwer es war, im Filmgeschäft Fuß zu fassen. Ray fragte Jim, was er denn so mache, und Jim erzählte ihm ganz beiläufig, dass ihm so einige Songs eingefallen seien. Ray wurde neugierig, denn eigentlich hatte er immer nur für die Musik gelebt. In der Musik seiner polnischen Vorfahren hatte er einen großen Tiefsinn und eine Heiterkeit erfahren, die ihm das Gefühl einer großen Geborgenheit vermittelten. Glück und Trost lagen darin, die eine Familie zusammenschweißten. Ray konnte wunderbar Klavier spielen. Er hatte den Blues seines Landes entdeckt und fühlte sich damit verwurzelt. Er hatte mit seinen Brüdern gerade die Gruppe Rick and the Ravens gegründet und war immer noch auf musikalischer Spurensuche. Ray überredete seinen Freund, ihm die Lieder vorzusingen. Ray muss diese Erleuchtungsphase in Jim Morrisons Leben gespürt haben. Jim Morrison muss zu dieser Zeit einfach die Gedanken losgelassen haben. Er hatte einfach seinen Geist geöffnet, um zu empfangen; und dabei hatte er die Unendlichkeit entdeckt, den Zauber des Augenblicks. Er hatte die Unermesslichkeit der Stille und der Weite und die Unermesslichkeit des Geistes entdeckt. Darin gab es keine Mitte, aber es gab die Musik. In dieser Musik explodierte eine Liebe, die durch die Poren seiner Haut strömte. Jim nahm seinen ganzen Mut zusammen, schloss die Augen, ließ den Sand durch seine Finger rieseln und begann zu singen. Er sang den »Moonlight Drive«. In diesem Lied wollte er mit allen Menschen in das Meer eintauchen, zum Mond schwimmen, die Gezeiten erklimmen, in den Abend eindringen, den die Stadt schlafend verbirgt. Er wollte mit uns hinausschwimmen, heute Nacht, Liebe, müssen wir es wagen!
Die schlichte Schönheit dieser Melodie, die seine Worte trugen, kann man nicht beschreiben. Die Worte begannen zu schweben. Es waren Worte für einen langen Atem. Die Melodie trug eine sanfte Steigerung in sich. Ray hatte wirklich Ohren, um zu hören. Im Zuhören hatte Ray den Geist dieser Musik erfasst. Er hatte auch erkannt, dass Jim Morrison eine weiche und warme und sinnliche Stimme hat. Ray verfiel in eine euphorische Stimmung. Jim sang ihm noch weitere Lieder vor und Ray begann an diesen Menschen zu glauben. Er glaubte an ein schöpferisches Potential, das die Welt erobern konnte. Er war voller Hoffnung. Er setzte Jim Morrison ein Ziel vor Augen. Am Ende dieses Tages wollten sie einen Mythos begründen, die Welt verändern und Millionen verdienen. An diesem Tag hatte sich zwischen den beiden eine große Euphorie ausgebreitet, ein Geisteszustand, der das Leben so lebendig macht. Aber zuerst wollte Ray an diesen Jim Morrison glauben und mit ihm Musik machen. Dieser Glaube war bei Ray auf einen Felsen gegründet. Er war bereit, jedes Opfer dafür zu bringen. Jim wollte die Gruppe The Doors nennen. Er wollte eine Tür aufmachen, die zur anderen Seite führt, in die Welt des Unendlichen.
Jim und Ray erreichten ihr Ziel. Sie gründeten die Doors. Jim war der Sänger und Ray war der Keyboarder. Im Herbst 1965 kamen der Schlagzeuger John Densmore und der Gitarrist Robbie Krieger dazu. Es waren zwei äußerst begabte Musiker, die Ray bei einem Meditationskurs kennen gelernt hatte. Die Doors begründeten ihren Mythos, sie wurden weltberühmt und verdienten tatsächlich Millionen mit ihrer Musik. Aber der Anfang des Weges war sehr beschwerlich. Es erforderte viel Mut durchzuhalten, und es grenzte beinahe an ein Wunder, dass sie nicht aufgaben. Jim wohnte mit Ray und seiner japanischen Freundin in einem kleinen Apartment am Strand von Venice. Jeden Tag übten die vier in einem kleinen Raum und arrangierten die Songs, die Jim und Robby sich ausdachten. Sie machten Demos, die keiner hören wollte und klapperten völlig erfolglos eine Plattenfirma nach der anderen ab. Sie spielten jede Nacht für ein Taschengeld im London Flog, einem kleinen, heruntergekommenen Club auf dem Sunset-Strip in Los Angeles und machten sich Gedanken darüber, wie man die Miete bezahlen und das Hungergefühl im Magen unterdrücken konnte. Ganz am Anfang haben die Doors Kohldampf geschoben. Aber zum Glück entdeckte Jim zu dieser Zeit in Venice Beach das kleine Restaurant mit dem Namen »Olivia`s«, wo man »Soulfood« bekam. Das war reichhaltige, gesunde und wohlschmeckende Hausmannskost, die billig war. Jim Morrison verliebte sich regelrecht in diesen kleinen Laden und verbrachte viel Zeit dort. Die Atmosphäre war mit der Freundlichkeit der Besitzerin getränkt. Für Jim war dieser Laden ein kleines Zuhause und er ließ sich dort inspirieren. Oft gehörte er zu den letzten Gästen, die Olivia dann liebevoll hinauswarf, wenn sie ihr Lokal endlich schließen wollte. Eines Tages kritzelte Jim Morrison ein Lied auf eine Serviette, das er eigens für Olivia geschrieben hatte. Er nannte es »Soul Kitchen«. Es war ein Loblied auf ihre Seelenküche, worin er jenen behaglichen Teil des Restaurants beschrieb, an dem die Uhr einem irgendwann sagt, dass es jetzt Zeit ist, zu schließen und man besser gehen soll, obwohl man viel lieber hier bleiben würde, die ganze Nacht: »Autos kriechen vorbei, voller Augen. Straßenlampen teilen ihre leere Glut. Dein Gehirn scheint wie zerschlagen vor starrem Staunen. Nur noch ein Ort, wo ich hingehen kann. Lass mich die ganze Nacht in deiner Seelenküche schlafen. Meinen Geist an deinem behaglichen Ofen erwärmen. Wirf mich raus, und ich werde umherirren, in den Neonwäldern straucheln. Deine Finger weben rasch ein Minarett, sprechen ein geheimes Alphabet. Ich zünde noch eine Zigarette an, lerne zu vergessen, lerne zu vergessen. Nun, die Uhr sagt, es ist Zeit zu schließen. Ich weiß, dass ich jetzt gehen muss. Ich möchte wirklich die ganze Nacht hier bleiben. Die ganze Nacht. Die ganze Nacht!«
Diese einfache Sehnsucht nach Geborgenheit brachte in diesem Lied die schönsten Metaphern hervor. Es war ein Liebeslied für eine Kneipe. Dieses Lied gehört heute zu dem Vermächtnis der Doors. Ihre Schallplatten wurden vergoldet und Jim Morrison ist inzwischen unsterblich. Es gibt überall Menschen auf der Welt, die Jim Morrison bis heute ein Denkmal setzen. Sie sorgen dafür, dass die Poesie dieses Mannes nicht in Vergessenheit gerät.
Zu diesen Menschen gehören auch Jürgen Schuschke und Bernd Kuss, die Jim Morrisons Seelenküche wieder räumlich fassbar und lebendig machten. Olivias Seelenküche ist nun mitten in Berlin zu finden. Hier trifft sich die Doors-Gemeinde aus ganz Deutschland und auch aus dem Ausland. Dazu gehören Schriftsteller und Künstler, die sich mit Jim Morrison befassen oder ihn verehren, Mitglieder von Cover Bands, Leute, die eine eigene Homepage für Jim Morrison und die Doors eingerichtet haben und sie auf dem neuesten Stand halten, Fans und Sammler, die ihre Schätze austauschen, aber es kommen auch ganz gewöhnliche Leute, die einfach nur die wundervolle Atmosphäre in dieser kleinen Kneipe genießen wollen. Wenn Jürgen Schuschkes Frau den Kaffee serviert, fühlt man sich sofort an Olivia erinnert. Das Essen ist immer besonders schmackhaft und frisch zubereitet. Auf Wunsch bekommt man das kleine »Jim Morrison Bier« und wer es möchte, kann eine Menge über die Doors erfahren.
Quellen: Die Doors, Jim Morrison und ich/ Ray Manzarek/ Hannibal Verlag
Jim Morrison and The Doors - Die kompletten Songtexte/ Danny Sugerman (Hrsg.)/ Schirmer/Mosel
Strange Days/ The Stories behind Every Door´s Song/ Chuck Crisafulli/Edition Olms Zürich